
Die zentralen gesetzlichen Weichen für eine weitreichende Reform des Krankenhaussektors sind gestellt: Am 22. November 2024 hat der Bundesrat das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) mit knapper Mehrheit gebilligt und auf die Anrufung des Vermittlungsausschusses verzichtet. In Kraft getreten ist das Gesetz am 12. Dezember 2024. Die vollständige Umsetzung der Reform wird sich mindestens über die nächsten vier Jahre erstrecken und soll mit einem Transformationsfonds von 50 Milliarden Euro finanziell unterstützt werden.
Über den Krankenhaussektor hinaus wird die Reform Effekte auf die anderen Sektoren der Sozial- und Gesundheitswirtschaft haben – insbesondere für die ambulante Gesundheitsversorgung, die Rehabilitation, die Altenhilfe und die Planung der kommunalen Daseinsvorsorge.
Sechs zentrale Hebel zur Transformation der Krankenhauslandschaft
Das KHVVG zielt darauf ab, die Krankenhausversorgung sowohl qualitativ als auch strukturell zu modernisieren und langfristig an den demografischen und medizinischen Wandel anzupassen. Es soll eine Balance zwischen regionaler Versorgungssicherheit und überregionaler Spezialisierung schaffen. An diesen Zielen setzt das KHVVG mit sechs zentralen Hebeln an:
- Finanzielle Stabilisierung der Kliniken durch kurzfristige Liquiditätshilfen sowie eine weitergehende finanzielle Förderung bestimmter medizinischer Bereiche und Einrichtungen
- Forcierung der Zentralisierung und Spezialisierung durch eine Fokussierung der Krankenhausplanung der Bundesländer auf Qualitäts- und Fallmengenvorgaben für Leistungsgruppen (Strukturreform)
- Reduktion des ökonomischen Drucks und gedämpfte Anreize für Fallmengensteigerungen durch die Integration einer Vorhaltefinanzierung in das DRG-System (Vergütungsreform)
- Verbindung wohnortnaher stationärer Krankenhausbehandlung mit ambulanten und pflegerischen Leistungen durch die Schaffung sektorenübergreifender Versorgungseinrichtungen
- Finanzierung der Strukturveränderungen durch einen Transformationsfonds
- Förderung der Ambulantisierung von Krankenhausfällen durch eine Weiterentwicklung der Hybrid-DRG
Die ersten Maßnahmen des KHVVG greifen bereits im Jahr 2025. In den Folgejahren wird der Umbau der stationären akutmedizinischen Versorgung zunehmend an Tempo gewinnen, wenn ab dem Jahr 2027 die reformierte Krankenhausplanung der Länder scharfgestellt ist und die zweijährige Konvergenzphase für die Vorhaltevergütung beginnt (siehe Abbildung 1).

Die Liquiditätskrise der Kliniken wir nicht aufgelöst
Die Zahlungsfrist für Krankenkassen zur Begleichung von Krankenhausrechnungen wurde erstmals im Jahr 2020 im Rahmen des COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetzes auf fünf Tage verkürzt, um die Liquidität der Krankenhäuser während der Pandemie zu sichern. Seither wurde die Regelung mehrfach verlängert; zuletzt bis zum 31. Dezember 2024. Mit dem KHVVG sind die Kostenträger nun dauerhaft an die 5-Tage-Zahlungsfrist gebunden.
Darüber hinaus regelt das KHVVG die Berücksichtigung von zusätzlichen Kostensteigerungen in den Landesbasisfallwerten. Rückwirkend für 2024 können Tariflohnsteigerungen durch eine unterjährige Neuvereinbarung des Landesbasisfallwerts frühzeitig und zudem vollständig – statt wie bisher nur hälftig – refinanziert werden. Auch gilt ab 2025 eine vollständige Anwendung des Orientierungswertes, falls dieser unterhalb der Grundlohnrate liegt.
Bei genauerer Betrachtung relativiert sich die Wirkung der KHVVG-Regelungen auf die Liquidität der Kliniken. So fehlt weiterhin ein Ausgleich für die enormen Preissteigerungen bei den Sach-, Energie- und Personalkosten in den Jahren 2022 und 2023. Nach Ergebnissen des aktuellen Krankenhaus Barometers des Deutschen Krankenhausinstituts spüren 88 % der Häuser weiterhin erhebliche Auswirkungen der zurückliegenden Kostensprünge auf ihre Liquidität. 42 % der Kliniken erhielten Zuschüsse ihrer Träger, um Liquiditäts- und Insolvenzrisiken zu reduzieren. Vor diesem Hintergrund spielt neben den Programmen verschiedener Bundesländer zur finanziellen Stützung der Krankenhäuser das Liquiditätsmanagement der Kliniken eine zentrale Rolle. Dies setzt eine sorgfältige Überwachung und proaktive Steuerung der Zahlungsflüsse, ein effizientes Forderungsmanagement und eine stringente Kostenkontrolle voraus. Zudem gewinnen Finanzinstrumente zur Schonung der Liquidität an Bedeutung – wie Leasing, Factoring und Avale.
Ab 2027 sieht das KHVVG die Aufstockung der finanziellen Förderung für die Notfallversorgung sowie neue Förderbeträge für bestimmte medizinische Bereiche wie die Pädiatrie und Geburtshilfe vor. Zudem werden jährlich 75 Mrd. Euro als Vorhaltevergütung für Unikliniken sowie 125 Mrd. Euro für Koordinierungs- und Vernetzungsaufgaben bereitgestellt. Die konkrete Zuordnung der Mittel auf medizinische Bereiche und Einrichtungen ist noch durch das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) festzulegen. Sicherstellungszuschläge für bedarfsnotwendige Krankenhäuser bleiben bestehen.
Strategische Herausforderungen durch die Reform der Krankenhausplanung
Spürbare Veränderungen der Kliniklandschaft sind von der Anwendung von Leistungsgruppen als neues Instrument der Landeskrankenhausplanung basierend auf dem Modell aus NRW zu erwarten. Das medizinische Angebot der Krankenhäuser wird anhand von zunächst 65 Leistungsgruppen bundeseinheitlich segmentiert. Ab 2027 sind diese Leistungsgruppen bundesweit die Basis für die Krankenhausplanung der Länder. Die Planung erfolgt somit künftig nicht mehr anhand von Betten sondern auf Basis von medizinischen Leistungsbereichen. Leistungsgruppen und die dazugehörigen Fallzahlen können einem Krankenhaus grundsätzlich nur dann zugewiesen werden, wenn es die bundesweit gültigen Qualitätsstandards sowie die vorgeschriebenen Mindestfallzahlen je Leistungsgruppe erfüllt.
Dieses Verfahren zielt darauf ab, eine Steuerung und Konzentration von Leistungen zu ermöglichen. Hierfür setzt das KHVVG einen groben ordnungspolitischen Rahmen. Konkretisiert und umgesetzt werden die Vorgaben auf Bundes- und Länderebene. Durch Rechtsverordnungen des Bundesgesundheitsministeriums sind die Leistungsgruppen samt Qualitätskriterien sowie die Mindestvorhaltezahlen festzulegen.
Den Ländern bleiben ihre Planungshoheit und gewisse Entscheidungsspielräume bei der Zuweisung von Leistungen zu Krankenhäusern. Sofern es zur Sicherstellung der Versorgung geboten ist, wird ihnen ermöglicht, einer Klinik Leistungsgruppen zuzuordnen, selbst wenn die bundesweit geltenden Qualitätsstandards nicht erfüllt werden. Im Zuge der neu ausgerichteten Landeskrankenhausplanung wird jede Klinik mit wesentlichen strategischen Fragestellungen konfrontiert sein. Die Veränderungsdimensionen für das eigene Angebotsspektrum sind die zugeteilten Leistungen und Fälle. Für beide Dimensionen gilt: Nach der Leistungsgruppenzuordnung können sie entweder unverändert bleiben oder sich durch Zugewinn oder Verlust verändern. Diese Ausprägungen legen den Rahmen für strategische Handlungsoptionen fest (siehe Abbildung 2).

Es ergeben sich vier strategische Stoßrichtungen:
- Krankenhausstandorte mit einer konstanten oder nur leicht rückläufigen Anzahl von Leistungsgruppen und einer steigenden Fallzahl müssen ihr Wachstum managen. Die notwendige Infrastruktur ist zu schaffen und die personellen Kapazitäten sind ggf. zu erweitern. Hierbei rücken auch Kooperationen mit umliegenden Anbietern in den Fokus. In diese Kategorie fallen insbesondere Universitätskliniken, große Maximalversorger und einzelne Spezialkliniken. In der Regel können sie die Qualitätsstandards durch das umfassende Leistungsangebot erfüllen und von möglichen Leistungsverlusten umliegender Kliniken profitieren.
- Bei einer konstanten oder nur leicht rückläufigen Anzahl von Leistungsgruppen aber sinkenden Fallzahl, bleibt das Leistungsspektrum konstant. Allerdings kann die rückläufige Fallzahl zur Freisetzung von Behandlungskapazitäten führen. Die freiwerdenden Kapazitäten sind einer sinnvollen Nachnutzung zuzuführen, z.B. über erweiterte ambulante Angebote. Betroffene Kliniken werden vorwiegend zum Kreis der größeren Regelversorger gehören – insbesondere in einem kompetitiven Umfeld.
- Mit einem künftig moderat bis leicht rückläufigem Umfang von Leistungsgruppen aber steigenden Fallzahlen in den verbleibenden Bereichen werden v.a. Fachkrankenhäuser verschiedener Größe mit einem bisher breiten Behandlungsportfolio konfrontiert sein. Sie müssen die intendierte Leistungskonzentration und Spezialisierung vorantreiben.
- Krankenhausstandorte, die als Verlierer der Leistungskonzentration sowohl hinsichtlich der Leistungsgruppen als auch bei den Fallzahlen spürbare Rückgänge zu erwarten haben, sind gefordert, ihr Betriebs- und Geschäftsmodell teilweise oder vollständig zu transformieren. Eine Perspektive kann der Wandel zu einer sektorübergreifenden Versorgungseinrichtung sein. Betroffen sind v.a. wenig spezialisierte Häuser der Grund- und Regelversorgung.
Eine sorgfältige Vorbereitung auf die Veränderungen erfordert, dass sich die Kliniken intensiv mit einer Reihe von Einflussfaktoren beschäftigen. Neben einer Einschätzung zur voraussichtlichen individuellen Leistungsgruppenzuordnung sind die mögliche Neuverteilung von Leistungen im relevanten Einzugsgebiet, das Ambulantisierungsrisiko bzw. -potenzial sowie die regionale demografische Entwicklung in den Blick zu nehmen. Da die Leistungsgruppenzuteilung auch von bestehenden Versorgungsangeboten im Umfeld abhängt, ist eine Analyse der Leistungsangebote im Wettbewerbsumfeld ein wesentlicher Bestandteil. Die Ergebnisse der Analyse bilden die unverzichtbare Grundlage für die strategische Ausrichtung eines Krankenhauses und sind essenziell für die Erstellung einer belastbaren Business-Planung. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf der Bewertung externer Einflussfaktoren sowie der Entwicklung alternativer Szenarien mit hypothetischen Folgen (Szenarioanalyse). Eine überzeugende Business-, Investitions- und Finanzplanung ist insbesondere entscheidend, um Finanzierungspartner wie Banken von der wirtschaftlichen Stabilität und Zukunftsfähigkeit zu überzeugen.
Unklare Effekte der Vorhaltefinanzierung
An die Zuteilung von Leistungsgruppen soll künftig auch die Finanzierung von Krankenhausleistungen gekoppelt werden. Zu diesem Zweck wird das DRG-System weiter modifiziert. Aus der DRG-Vergütung werden 60 % der Kosten (inklusive Pflegebudget, exklusive variabler Sachkosten) extrahiert und einem Vorhaltebudget zugeordnet. Das Vorhaltebudget ist zur Deckung der Fixkosten für die Bereitstellung der jeweiligen Leistungsgruppen vorgesehen. Es ist keine statische Bestandssicherung, sondern dynamisch und leistungsabhängig anlegt. Denn die Abhängigkeit der Leistungsgruppenzuordnung von einer Mindestfallzahl überträgt sich auf die hieran gekoppelte Vorhaltefinanzierung. Darüber hinaus wird das klinikindividuelle Vorhaltebudget durch die Fallzahlen im Markt und die Anzahl der Anbieter je Leistungsgruppe beeinflusst. Angesichts des bedeutenden Einflusses exogener Faktoren ist der Erlöseffekt des Vorhaltebudgets für ein einzelnes Krankenhaus nur näherungsweise bewertbar.
Die Planungsunsicherheit bleibt groß
Die Kliniken stehen vor einer Vielzahl strategischer Entscheidungen und komplexer operativer Umsetzungsanforderungen. Trotz des Inkrafttretens des KHVVG bleibt die Planungsunsicherheit aus Sicht der Krankenhäuser weiterhin groß. Zahlreiche Details der Reformschritte müssen noch durch Rechtsverordnungen des Bundesgesundheitsministeriums geregelt sowie zwischen den Kostenträgern und Leistungserbringern auf Bundes- und Länderebene vereinbart werden. Derzeit ist weder absehbar, welche finanziellen Folgen die Reform für die einzelnen Kliniken haben wird, noch, ob eine neue Bundesregierung die Krankenhausreform in zentralen Punkten ändern könnte.

Jan Heinzen
Berater Gesundheitswirtschaft
E-Mail: j.heinzen@sozialgestaltung.de

Susanne Leciejewski
Geschäftsführung
E-Mail: s.leciejewski@sozialgestaltung.de
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