Kaum ein Thema wird in der Sozialwirtschaft aktuell mehr diskutiert als die Digitalisierung beziehungsweise die bislang verhaltene Digitalisierung innerhalb der Branche.
Während sich in den letzten Jahrzehnten andere Wirtschaftszweige, wie die Industrie und das Handwerk, stark durch EDV- und Automatisierungstrends veränderten, ist nun der Dienstleistungssektor von großen Umwälzungen betroffen. Mit ihm stehen auch die Akteurinnen und Akteure der Sozialwirtschaft endgültig in der Pflicht.
Welche Wege sollten von ihnen beschritten werden, um nicht abhängt zu werden und um Wirtschaftlichkeit wie Kundennutzen zu gewährleisten?
Zugang zu Information und Kommunikationskanälen
Informationen sind heutzutage zunehmend universell und häufig kostenfrei verfügbar. Durch diese verfügbaren Datenmengen (Big Data) sind außerdem ganz neue Auswertungen möglich. Zum anderen ist die Halbwertszeit der Informationen jedoch gesunken. Von Branchenspezialistinnen und – spezialisten wird daher erwartet, entsprechend auf dem aktuellen Wissensstand zu sein.
Während in früheren Zeiten der Zugang zu Informationen der Engpass war, liegt er heute in der Auswahl und der Bewertung der Informationen. Fake News, Trolle, Hatespeech und andere missverständliche, fehlerhafte und interessengeleitete Informationsangebote gilt es zu erkennen und zu separieren.
Die neuen Informationswege und Medien haben jedoch nicht nur unsere Kommunikationskanäle und Ausdrucksformen verändert, sondern auch unsere Aufmerksamkeitsspannen. In diesem wechselseitigen Verhältnis befinden sich die Kommunikationsformen im stetigen Wandel und einzelne Social-Media-Kanäle und Apps unterliegen beständigen Veränderungen.
In der Sozialwirtschaft entwickelt sich entsprechend in der individuellen Kommunikation mit Klientinnen und Klienten der Mix aus Gespräch, Print, Telefon, E-Mail, SMS/Chat laufend weiter. Die angemessene Nutzung dieser verschiedenen Kommunikationskanäle muss von den Entscheidern in der Sozialwirtschaft bewertet, geregelt und geschult werden, wenn sie nicht abgehängt werden wollen.
Die Digitalisierung umfasst sämtliche Geschäftsprozesse
Die Umrüstung auf leistungsfähige, integrierte Branchensoftware ist ein zwingender Teil der Digitalisierung für Unternehmen in der Sozialwirtschaft. Das entspricht nicht nur den fachlichen Standards und Kundenerwartungen, sondern oftmals auch den gesetzlichen Anforderungen. Kriterien für die Auswahl einer Software sind ihre flexible Anpassbarkeit, ihre sukzessive Weiterentwicklung und ein branchenkundiger, kompetenter Support vor Ort.
Im ersten Schritt sollten alle internen Abläufe – von der Terminvereinbarung bis zur Buchhaltung – durchgehend digitalisiert werden. Regel- oder musterbasierte Prozesse sind zwar weitestgehend zu automatisieren, dennoch müssen manuelle Eingriffe möglich bleiben, um in Ausnahmefällen reagieren zu können. In einen erfolgreichen Digitalisierungsprozess sind letztlich auch alle externen Partner*innen eingebunden. Entsprechende Vernetzungen und ein Austausch im Verbund können diese Entwicklungen mit voranbringen und sollten ausgeschöpft werden.
Plattformen und Leistungserbringung online
Eine besondere Bedeutung kommt zukünftig Online-Plattformen in der Sozialwirtschaft zu. Während sie in anderen Sektoren, wie etwa in der Reisebranche, Hotellerie oder bei Stromanbietern, längst etabliert sind, stecken sie in der Sozialwirtschaft noch in den Kinderschuhen.
Plattformen werden vor allem zur Leistungsvermittlung – gegebenenfalls in Verbindung mit Bewertungsportalen – genutzt. Sie können einerseits zu einer neuen Markttransparenz führen, andererseits belasten sie jedoch die Margen für Leistungserbringer*innen.
Sowohl für die Kundschaft als auch für die Anbieter*innen erleichtern Plattformen durch automatisierte Prozesse und die Entkoppelung von zeitlichen und räumlichen Faktoren einen 24/7-Service. Chatbots kommt dabei eine stark erweiterte Rolle im Vergleich zu bloßen Onlineberatungen zu.
Kundinnen und Kunden, wie etwa Klientinnen und Klienten sozialer Dienstleistungen und ihre Angehörigen, können sich durch Plattformen und Bewertungsportale schneller informieren, sich gegenseitig austauschen und Dienstleistungen beurteilen. Zudem ist die Organisation von Gruppen, wie z. B. von Selbsthilfegruppen oder Freiwilligen, durch Portale weitestgehend räumlich unabhängig und trotz Einschränkungen in der Mobilität möglich.
Chancen und Risiken für die Sozialwirtschaft
Gerade für die Sozialwirtschaft ergeben sich mit der längst noch nicht abgeschlossenen digitalen Revolution neue Perspektiven, durch die der Markt an Dynamik und Vernetzung gewinnt. Dabei ist die Entwicklung für den einen erschreckend, für den anderen verheißungsvoll. Bei nüchterner Betrachtung zeichnen sich sowohl erhebliche Chancen als auch erstzunehmende Risiken ab. Die Entwicklung wird sich nicht verhindern lassen. Aber es können Risiken im Vorfeld abgeschätzt, Entwicklungen kritisch begleitet und politische Rahmenbedingungen gestaltet werden.
Alle sozial engagierten Kräfte sind aufgefordert, an der Gestaltung der digitalen Gesellschaft aktiv teilzunehmen. Dazu bedarf es einer fachlich fundierten Befassung mit Technologien und gesellschaftlichen Folgen sowie ethischer Diskurse.
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Der Autor
Christian Koch ist Unternehmensberater bei npo-consult in Bonn, Geschäftsführer von socialnet.de und langjähriger Dozent in unserem Seminarbereich. Der Diplom-Kaufmann ist Experte für Rechnungswesen, Controlling und Chancen- und Risikomanagement für Einrichtungen der Sozialwirtschaft.